Leben zwischen Schmerz und Normalität – Wie HS den Alltag prägt

Leben zwischen Schmerz und Normalität – Wie HS den Alltag prägt

04.07.2025 17:45

Pflaster, Schmerz und stille Stärke: Ein ehrlicher Blick auf das Leben mit Hidradenitis suppurativa (HS) und warum selbst ein einfaches T‑Shirt zur Herausforderung werden kann.


Wer kennt das nicht?

Du stehst morgens vorm Kleiderschrank und hast die Qual der Wahl.
Hose oder Kleid? Weiß oder bunt? Eng oder weit?

Aber bei uns mit HS ist das nicht nur eine Frage von Mode oder Lust.
Es ist ein täglicher Kampf. Eine leise Angst. Eine Entscheidung, die weh tun kann – manchmal körperlich, manchmal mitten im Herzen.

So oft lese ich in unseren Gruppen Sätze wie:


„Das weiße Hemd wäre heute perfekt fürs Meeting. Aber geht nicht – unter meiner Achsel wächst gerade ein Abszess. Nicht, dass der aufplatzt und alles voll Blut und Eiter ist. Wie peinlich vor den Kollegen!“

Oder:


„Eigentlich hätte ich Lust auf die Skinny Jeans. Aber die ist zu eng, zu viel Reibung – das triggert meine HS. Lieber doch wieder was Lockeres.“


Irgendwann geht’s nicht mehr darum: „Auf was hab ich heute Bock?“
Sondern nur noch: „Was geht heute überhaupt – mit meiner HS?“



Immer ein Plan B – und trotzdem verlieren

Die HS ist kein kleiner Pickel, den man mit Creme wegzaubern kann.
Sie ist ein unsichtbarer, launischer Begleiter, der immer mitredet - egal, ob man will oder nicht.

Man weiß nie, wann der nächste Schub kommt.
Ob er heute klein bleibt – oder dich für Tage lahmlegt.

Irgendwann hört man auf, groß zu planen.
Man sagt lieber gleich gar nicht erst zu, bevor man wieder absagen muss. Bevor man wieder enttäuscht.
Man kauft kein Ticket fürs Lieblingskonzert.
Man bleibt nach der Arbeit nicht noch auf ein Bier mit den Kollegen.

Zu oft musste man erklären, warum man nicht kann.
Zu oft in enttäuschte Gesichter geschaut.

Und so trägt man seine kleine Apotheke immer bei sich:
Pflaster, Kompressen, Desinfektionsmittel, Salben, Schmerztabletten.
Ohne geht man nicht aus dem Haus.

Man wird Profi im Plan B.
Und trotzdem verliert man oft.
Weil der Körper wieder „Nein“ sagt – egal, wie sehr der Kopf „Ja“ wollte.



Kleidung, Sitzpositionen, Alltag

Früher ging’s um Style. Heute geht’s ums Überleben zwischen Stoff und Haut.
Um Schutz - gegen Reibung, Schweiß, Entzündung, Schmerz.

Baumwolle, weil sie besser saugt.
Sportshirts, die den Schweiß ableiten.
Keine Bügel-BHs mehr – egal, wie schön es aussieht. Hauptsache, weniger Druck. Hauptsache geschützt.

Schon morgens denkt man: Wie sitze ich heute in der Bahn?
Wie viele Leute werden mich streifen oder gar anrempeln?
Ein Abszess in der Achsel – da reicht schon eine flüchtige Berührung für höllischen Schmerz.

Man entwickelt Angst vor Menschenmengen.
Und ständig diese Fragen im Kopf:
Geht der Aufzug? Gibts Rolltreppen? Oder muss ich Treppen steigen, obwohl mein Intimbereich offen und entzündet ist?

Die HS diktiert deinen Tag, noch bevor du aus dem Bett gestiegen bist.
Die HS taktet deinen Tag, noch bevor der erste Kaffee auf dem Tisch steht.

Und an den seltenen Tagen ohne Schmerzen?
Dann ist man laut, fröhlich, lachend, voller Energie – und wird prompt „launisch“ genannt.



Partnerschaft, Liebe, Intimität


„Ich hab jemanden kennengelernt… soll ich was von meiner HS erzählen? Oder lieber nicht?“

Diese Frage lese ich so oft.
Und dahinter steckt so viel Angst.

Was, wenn der andere geht?
Wenn er sich ekelt?

Man verstellt sich. Tut so, als wäre alles normal.
Aber der andere spürt trotzdem: Da ist etwas.

Mein Rat? Ehrlich sein.
Von Anfang an sagen: Ich hab eine chronische, unheilbare Krankheit.
Es gibt gute Tage – und Tage, da geht nichts.

So kann der andere selbst entscheiden.
Und man selbst muss sich nicht mehr verstecken.

Wichtig: Nicht nur „Akne inversa“ sagen – weil... das klingt nach ein paar Pickeln.
Lieber HS, Hidradenitis suppurativa oder Morbus Verneuil.
Das klingt mehr nach dem, was es wirklich ist.

In einer festen Partnerschaft ist oft nicht der Partner das Problem – sondern man selbst.
Man hat Angst, dass der andere sich ekelt.
Dass man „zu viel“ ist, zu kaputt.

Selbst eine liebevolle Umarmung kann plötzlich nur noch Schmerz bedeuten.
Dann muss man reden. Sagen: „Es liegt nicht an dir.“

Nur so kann der andere verstehen.

Auch beim Thema Intimität hilft nur Reden, Ehrlichkeit und Mut.
Und manchmal merkt man: Wer wirklich liebt, bleibt.
Und die Liebe wird dadurch sogar tiefer.
Weil man so viel gemeinsam durchsteht.
Aber manchmal - verliert man sich auch. Weil die HS zu viel Raum eingenommen hat.



Kleine Dinge, große Wirkung

Ein Kind, das „Mama, hoch!“ ruft – und du kannst den Arm kaum heben.
Einkaufen, Autofahren, Kochtopf aus dem Schrank holen, Treppen steigen, duschen.
Manchmal tut schon Atmen weh.

Fremde Toiletten? Ein Alptraum.
Man hat seine festen Routinen zuhause – aber unterwegs?
Angst, erwischt zu werden beim Verbände wechseln.
Angst vor Blicken.
Angst, man könnte was riechen.

Autofahren? Der Sicherheitsgurt drückt auf entzündete Stellen.
Jede Bremsung tut weh, weil der Abszess zwischen den Oberschenkel spannt.

Arzttermine? Immer wieder erklären, warum man jetzt kommen muss – nicht erst in zwei Monaten.
Und überhaupt die "richtige Praxis", also eine, die versteht, finden? Schwerer als gedacht.

Der Sommer? Eigentlich schön.
Aber für uns bedeutet er mehr Schweiß, mehr Entzündungen.
Und trotzdem: Irgendwie liebt man ihn – trotz allem.

Geruch? Manchmal hat man Angst, dass andere ihn riechen.
Auch wenn oft niemand etwas merkt – der Gedanke bleibt.

Schwimmen? Für viele ein Gefühl von purer Freiheit – aber immer diese Angst vor Keimen. Vor Infektionen.
Und die unbegründete Angst, vielleicht jemanden anzustecken.

Urlaub? Eine Herausforderung.
Doch viele merken: Sonne und Meerwasser tun gut.
Und dann plant man trotzdem. Weil man leben will.



Wir sind nicht nur krank

Ja, wir haben HS.
Aber wir sind ja trotzdem da. Wir sind doch mehr als diese Krankheit.

Wir lachen, arbeiten, lieben, feiern, tanzen, träumen, kuscheln, spielen.
Manchmal vorsichtiger. Manchmal anders. Manchmal leiser.
Aber wir tun es.

In den Gruppen sehe ich so viel Mut, Kreativität, Stärke, Lebenslust und Freude:
Menschen, die trotzdem schwimmen gehen – mit speziellen Badeanzügen oder Pflastern.
Menschen, die Rad fahren – mit speziellem Sattel.
Menschen, die neue Hobbys entdecken.

Wir finden Wege. Weil wir nicht nur überleben wollen - sondern wirklich leben.



Die HS gehört zu unserem Leben – aber sie ist nicht unser Leben

Dieser Satz bringt alles auf den Punkt:


„Die HS gehört zu unserem Leben – aber sie ist nicht unser Leben.“


Ja, sie nimmt uns vieles.
Aber nicht alles.

Wir finden immer wieder Wege.
Für unsere Partner, unsere Kinder – und vor allem für uns selbst.

Für ein Leben, das trotz HS und seinen Herausforderungen lebenswert ist.
Und manchmal gerade deshalb noch ein bisschen kostbarer.





HS.Ehrlich. – das ist mein Versprechen.

Ich werde hier schreiben, was andere sich nicht trauen zu sagen.
Im Namen von so vielen, die jeden Tag tapfer durchhalten.
Und die eines verdienen: Gehört zu werden.

Bleibt stark.
Eure Bine





Kommentar zu "Leben zwischen Schmerz und Normalität – Wie HS den Alltag prägt" verfassen
Sie haben nicht die erforderlichen Rechte, diesen Artikel zu kommentieren.


Xobor Xobor Blogs
Datenschutz