HS.Ehrlich. – Was ich sehe, was ich fühle, was sich ändern muss

HS.Ehrlich. – Was ich sehe, was ich fühle, was sich ändern muss

07.05.2025 21:25

Was bewegt Menschen mit Hidradenitis suppurativa wirklich?
In ihrem ersten Blogbeitrag zu "HS.Ehrlich." spricht Bine, Admin des Ai-Clubs, Klartext: Über Schmerz, brutale Hoffnungslosigkeit, systemisches Versagen – aber auch über Mut, Veränderung und echte Hoffnung.
Ein dringender Aufruf an alle, die endlich hinschauen sollten.




Es gibt Tage, da könnte ich schreien.
Vor Wut, vor Ohnmacht, vor Mitgefühl.

Und es gibt Tage, da lese ich Beiträge in unseren HS-Selbsthilfegruppen - bei Facebook, Instagram oder WhatsApp - und ich spüre:
Das hier ist nicht einfach nur irgendeine Krankheit.
Das hier ist ein stilles, echtes Drama, das täglich hunderttausende Menschen in Deutschland massiv belastet.
Und doch schaut kaum jemand wirklich hin.

Ich bin Bine. Betroffene. Kämpferin.
Und Admin des Ai-Clubs - einer starken Community für Menschen mit Hidradenitis Suppurativa (HS).
Ich schreibe heute diesen ersten Blogbeitrag, weil ich nicht mehr schweigen will.
Weil ich viele Jahre lang beobachtet, mitgeschrieben, sortiert und zugehört habe.
Und weil ich finde: Das, was ich hier seit über 25 Jahren erlebe, MUSS gehört werden.

Denn HS tut weh - und zwar nicht nur körperlich.



Wo es am meisten schmerzt – jenseits der Haut

Die Beiträge in unseren Gruppen haben eines gemeinsam: Sie schreien förmlich nach Hilfe.
Aber nicht nur nach medizinischer - sondern nach Anerkennung. Verständnis. Menschlichkeit.

Die Themen, die am häufigsten auftauchen, sind keine kleinen Nebensächlichkeiten.
Es sind Grundpfeiler eines Lebens in Würde:

Fehlende Diagnosen:
Viele Betroffene rennen jahrelang von Arzt zu Arzt (Im Schnitt dauert es 10 Jahre bis zur richtigen Diagnose).
Und immer wieder hören sie: "Das ist nur ein Abszess. Salbe drauf, wird schon."
Nein, wird es eben nicht.

Jobverlust und Existenzangst:
Viele schleppen sich unter Schmerzen zur Arbeit - aus Angst vor dem, was passiert, wenn sie ausfallen.
Denn was kommt dann? Krankengeld? Bürgergeld? Verzweiflung.
Berufliche Träume? Kaum umsetzbar.

Krankenkassen, die blockieren:
Reha-Anträge? Abgelehnt.
Psychotherapie? Ein Kampf.
Moderne, nicht-operative Behandlungen? Nur mit endloser Bürokratie - meist trotzdem abgelehnt.
Dabei gäbe es längst funktionierende Modelle - wie EsmAiL mit den Ai-Zentren gezeigt hat.
Aber: Die Finanzierung lief nur während der Studie. Danach? Geld weg. Hoffnung weg. Struktur weg.

Isolation und Scham:
Viele trauen sich nicht mal mehr raus.
Die Angst vor Geruch, vor Blicken, vor Fragen ist zu groß.
Junge Menschen, die das Gefühl haben, ihr Leben sei vorbei, bevor es richtig begonnen hat.



Es geht auch anders. Und wir haben es gesehen.

Was mich innerlich zerreißt:
Es gäbe Lösungen. Sie liegen auf dem Tisch. Sie haben funktioniert.
EsmAiL war nicht nur ein Projekt - es war ein Hoffnungsschimmer.
Zum ersten Mal wurden HS-Betroffene nicht einfach weitergereicht.
Sie wurden gesehen. Ganzheitlich betreut.
Man nahm sich Zeit. Hörte zu. Behandelte nicht nur die Wunden auf der Haut, sondern auch die an der Seele.

Und das Ergebnis?
So klar, so einfach: Die Lebensqualität stieg. Die Krankheitslast sank.
Aber statt daraus Zukunft zu machen, ließ man es versickern.
Es wurde nicht weiterfinanziert.
Warum?
Wer entscheidet, dass hunderttausende Menschen weiterhin unnötig leiden müssen, nur weil Strukturen nicht ins System passen?
Weil es zu unbequem ist, neu zu denken?

Da draußen sitzen Menschen mit offenen, schmerzhaften Wunden. Körperlich wie seelisch.
Und irgendwo fällt in einem Sitzungssaal die Entscheidung:
"Nein, das machen wir jetzt nicht weiter."

Wie kann das sein?



Und jetzt mal ehrlich:
Man muss kein Mathegenie sein, um zu erkennen, dass hier etwas ganz gewaltig schiefläuft.

Jahrelange Fehldiagnosen.
Unzählige Operationen.
Krankenhausaufenthalte.
Frührente.
Psychische Folgeerkrankungen.


All das kostet Unsummen.
Und doch wird weiterhin nur an Symptomen herumgedoktert.
Statt in Prävention, gute Versorgung und langfristige Lösungen zu investieren.

Das ist nicht nur unmenschlich.
Es ist auch wirtschaftlich absurd.



Mein Appell an die Verantwortlichen: Schauen Sie hin. Und handeln Sie.

Ich wünsche mir, dass dieser Blog nicht nur von Betroffenen gelesen wird.
Ich wünsche mir, dass ihn Menschen lesen, die wirklich etwas bewegen können
Krankenkassen, Politiker:innen, Entscheidungsträger:innen.

Lesen Sie unsere Geschichten. Spüren Sie unseren Schmerz.
Und erkennen Sie, wie dringend wir eine Versorgung brauchen, die diesen Namen auch verdient.

Wir reden hier nicht über Luxus oder Sonderwünsche.
Wir reden über Lebensqualität. Teilhabe. Würde.

Und über eine Community, die zeigt:
Gemeinsam geht mehr.
Denn HS ist zwar für viele unsichtbar –
aber für uns ist sie tägliche Realität.



HS.Ehrlich. – das ist mein Versprechen.
Ich werde hier schreiben, was andere sich nicht trauen zu sagen.
Im Namen von vielen, die jeden Tag tapfer durchhalten.
Und die eines verdienen: Gehört zu werden.

Bleibt stark.
Eure Bine

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  • Erstellt von Binchen In der Kategorie HS.Ehrlich. am 07.05.2025 21:25:00 Uhr

    zuletzt bearbeitet: Gestern 16:22
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